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Ein schön spil von der geschicht der Edlen Römerin Lucretia
vnd wie der Tyrannisch küng Tarquinius Superbus von Rhom vertriben
vnd sunderlich von der standthafftigkeit Junij Bruti des Ersten Consuls zuo Rhom

Österreichische Erstaufführung aus Anlass des 500. Geburtstags des großen Reformators und Begründers des Helvetischen Bekenntnisses

In Erinnerung an den wunderbaren Menschen und die tolle Schauspielerin Nadine Hamersky (1969 - 2006)

INSZENIERUNG
Andreas Kosek
SCHAUSPIEL
Nadine Hamersky, Katharina Grabher, Wolfgang Fiala, Thomas Hennefeld / László Guthy, Andreas Kosek, Joe Pesl, Michael Schusser, Johannes Wolf
MUSIK
Robert Pistorius, András Fekete
KOMPOSITIONEN
Heinrich Bullinger, William Byrd, Robert Pistorius, Ludwig Senfl
TEXTÜBERSETZUNG & BEARBEITUNG
Katharina Grabher, Andreas Kosek & Joe Pesl
LICHT
Dimitri Macek
KOSTÜME
Angelika Höckner
REGIEASSISTENZ
Maria Steinberger

7. Dezember 2004 - Zwingli - Kirche
1150, Schweglerstraße 39

9. Dezember 2004 - Reformierte Stadtkirche
1010, Dorotheergasse 16

11. Dezember 2004 - Oberwart - Kirche
7400 Oberwart, Reformierte Kircheng. 16

Es wird um eine ernstzunehmende Spende (ab EUR 10,-) für die Künstler ersucht

Heinrich Bullinger (1504-1575), Sohn des gleichnamigen katholischen Pfarrers von Bremgarten (Schweiz), der Dank der Gemeindeautonomie auch als 'praktizierender Konkubiner' sein Amt ausüben konnte, lernte an der Universität Köln die Schriften des Humanisten Erasmus von Rotterdam und des Wittenberger Pfarrers Martin Luther kennen.
Nach intensiver eigener Auseinandersetzung mit den historischen Quellen wandte er sich jedoch den Ansichten Huldrych Zwinglis zu. Als er 1523 an das Kloster Kappel in der Schweiz als Schulmeister berufen wurde, nahm er die Stelle nur unter der Bedingung an, nicht in den Mönchsstand treten und sich nicht an den heiligen katholischen Messen beteiligen zu müssen. Da der Klostervorstand, wie viele Geistliche der damaligen Zeit, zwar noch offiziell der katholischen Kirche angehörte, aber bereits mit der reformierten Kirche Zürichs sympathisierte und bisweilen sogar schon in ihrem Sinne predigte, wurde diesen Forderungen stattgegeben. In diese Kappeler Zeit fällt die Abfassung des Lucretia-Stücks, das Bullingers einziges Drama bleiben sollte.

Lucretia, die Gattin des Collatinus, wird nach einer Wette unter römischen Feldherren als die tugendhafteste Frau erkannt. Daraufhin verschafft sich der selbstherrliche und rücksichtslose Königssohn Sextus Tarquinius unter einem Vorwand Eintritt bei ihr und vergewaltigt sie. Aus Schmerz über diese Schande erdolcht sich Lucretia vor den Augen ihres Mannes Collatinus. Die Rache, die sie erbat, schlägt unter der Führung Brutus' in eine vollständige Entmachtung und Vertreibung der Tarquinier um.

Gemäß der neuen republikanischen Staatsordnung stehen nunmehr zwei Konsuln - Brutus und Collatinus - an der Spitze der Regierung. Alle Ratsmitglieder leisten den Eid, dass mit dem Tode bestraft wird, wer sich für die Wiedereinsetzung des Königs stark macht oder sich zur Verfolgung ausländischer Interessen bestechen lässt.

Zwei königliche Gesandte überbringen den Wunsch des Königs, sich vor der Gemeinde zu verantworten, um danach wieder mit dem neuen Rat gemeinsam zu regieren oder auch nur als Privatmann in Rom leben zu dürfen. Da ihnen dies von den Ratsmitgliedern verweigert wird, wollen sie wenigstens eine Auslieferung des königlichen Gutes erwirken.

In Titus und Tiberius, den beiden Söhnen des Brutus und ihren Freunden, finden die Gesandten sehr schnell Sympathisanten des Königs, fehlte es ihnen doch unter seiner Regentschaft weder an herrlichen Kleidern noch sonstigen Vergnügungen und Vergünstigungen. Ein Komplott wird geschmiedet, fliegt aber auf und Brutus verurteilt seine eigenen Söhne zum Tode. Collatinus, sein ursprünglicher Kampfgefährte und zweiter Konsul von Rom manövriert sich mit seinen häufigen Aufrufen zur Milde ins politische Out und wird schlussendlich abgesetzt. - Betont Bullinger die Standhaftigkeit Brutus schon im Titel des Stückes, so wirft für uns das Stück sehrwohl auch die Frage auf, wieweit man bei der Verteidigung einer Revolution gehen kann, ohne - bei allen guten Vorsätzen - wieder nur ein rigides Regime zu errichten.

Wir vertrauen auf ein waches Publikum, das in vielen Sequenzen zeitgeschichtliche und zeitgenössische Ereignisse erkennen wird und Bezüge zur politischen Weltlage wie zum eigenen Privatleben herzustellen vermag. Geschichte wiederholt sich. Der römische Rahmen, die historische Entrückung machen die Mechanismen nur deutlicher - und betonen zugleich einen Entwicklungspunkt mitteleuropäischer Geistesgeschichte.

An der Umsetzung in Kirchen interessiert uns der Einbezug der vorhandenen sakralen Architektur in das Spiel, Altar, Kanzel und Emporen lassen bereits eine Vielzahl an Spielmöglichkeiten zu und machen aufwändige Bühnenbauten überflüssig.

Literaturhistorisch ist das Stück "als erstes deutschsprachiges Drama eines namentlich bekannten Humanisten, als eigenständige Adaption eines in Renaissance und Humanismus beliebten antiken Stoffes und als Markstein in der Geschichte der für die Schweizer Literatur im 16. Jahrhundert charakteristischen politischen Spiele" bemerkenswert. Schweizer Aufführungen sind aus den Jahren 1533, 1600 sowie 1939 verbürgt, die aktuelle Inszenierung durch das "teatro caprile" ist die erste außerhalb der Eidgenossenschaft und die einzige im Gedenkjahr.

Bullingers Bearbeitung des weithin bekannten Lucretia-Stoffes (Livius, Seneca, Dionysius) spielt indirekt stark auf die Verhältnisse in der Eidgenossenschaft am Beginn des 16. Jahrhunderts an. Mit der Erlangung der politischen Unabhängigkeit im Frieden von Basel, hatte 1499 die mehr als 200 Jahre dauernde Vertreibung der Habsburger ihren Abschluss gefunden. Doch nun schwächten eigene Expansionsbestrebungen in das Tessin und Veltlin, sowie die Söldnerdienste der Schweizer Landsknechte den neuen Staat. Einige wenige verdienten an der Vermittlung dieses "Menschenmaterial"; es entstand eine Schicht von "Kriegsgewinnlern" und Militärs. Die Soldaten wiederum waren, sofern sie überhaupt von den Schlachtfeldern zurückkehrten, nicht mehr imstande sich in einem zivilen Leben zurechtzufinden. Zudem dienten sie nur allzuoft katholischen Fürsten und Königen, weshalb der Kampf gegen das "Reislaufen" (auf Kriegsreise gehen) den Kirchenneuerern um Zwingli ein ganz besonderes Anliegen war, das aber trotz vieler Gesetze nur bedingt eingeschränkt werden konnte.

Nachdem Zwingli 1531 im "Kappeler Krieg" zwischen den katholischen (Ur)Kantonen und dem reformierten Zürich und seinen Verbündeten fiel, wurde Bullinger zu seinem Nachfolger ernannt und war bis zu seinem Tode 1575 der oberste Kirchenmann Zürichs. Bullinger bemühte sich stets um einen Konsens in kirchlicher, theologischer und auch in politischer Hinsicht. Es war entscheidend seine Übereinkunft mit Calvin von 1549, besonders in der Abendmahlsauffassung, die die Einheit der Reformierten Kirchen in der Schweiz, aber auch in vielen anderen Ländern Europas, erzielte. In der kirchlichen Organisationsform schuf er durch seine Ämterlehre der Gleichwertigkeit Strukturen, die in Richtung Demokratie wiesen. - Bullinger ist nicht zuletzt aufgrund des von ihm 1566 verfassten "Zweiten Helvetischen Bekenntnis", das von fast allen Reformierten Kirchen in Europa als ihre Bekenntnisschrift anerkannt wurde, einer der bedeutendsten Reformatoren der zweiten Generation. - Wer sich weiter über Bullinger informieren möchte, gebe einfach seinen Namen in eine Suchmaschine ein und erwehre sich der Fülle der Nennungen...

*) Rémy Charbon: Lucretia Tigurina. Heinrich Bullingers Spiel von Lucretia und Brutus (1526). In: Antiquitates Renatae. Deutsche und französische Beiträge zur Wirkung der Antike in der europäischen Literatur. Hg. v. Verena Ehrich-Haefeli, Hans-Jürgen Schrader, Martin Stern. Würzburg: Königshausen & Neumann 1998, S. 35. - Die gleiche Einschätzung vertritt Horst Hartmann in dem Buch "Lucretia-Dramen", Leipzig 1973. - Sehr aufschlussreich ist auch die Dissertation "Heinrich Bullingers Spiel von Lucretia und Brutus" von Käthe Hirth, Marburg 1919