Batschka-Balkan

Groteske Biografien aus der Vojvodina

"Die Krähen funkelten wie Diamanten. Eine Krähe schaute mich ganz aus der Nähe an.
Plötzlich hatte ich das Gefühl, daß sie mehr über mich wußte, als ich über sie."
          KATHARINA GRABHER - DIE PAPIERSAMMLERIN in der Erzählung "Brillant"

"Ich kann erzählen. Und ich erzähle gerne, und man hört mir auch gerne zu, die Hirten aus dem Járás, das ist unser Weideland, Salzboden, so weit man sieht; und auch die Bauern rundum haben es gern, wenn ich ihnen etwas erzähle. Ich kann aus allem eine Geschichte machen. Aus jedem Scheiß. Aus Allem. Außer aus meinem Leben. Das wollte mir irgendwie nie so richtig gelingen."
          ANDREAS KOSEK - DER HIRTE in der Erzählung "Was, wenn wir hängen wie die Hunde"

Violinen - ANDRÁS FEKETE

BÜHNE & KOSTÜME
Kosek, Grabher, Steinberger unter Verwendung von Elementen der Erstausstattung (2006) von Angelika Höckner

TEXTBEARBEITUNG & INSZENIERUNG - Andreas Kosek

REGIEASSISTENZ - Maria Steinberger 

DAUER - 110 Minuten (eine Pause)


Zwei Geschichten des Scheiterns, die jedoch mit ihren ruralen Metaphern und eigenwilligen Formulierungen, nicht zuletzt dank der "kongenialen Nachdichtungen" (Ilma Rakusa, NZZ) von György Buda und Géza Deréky, ein ungemein lebendiges, witziges und auch poetisches Bild vom Leben in der Batschka, jenem Landstrich Serbiens zwischen Donau, Theiss und ungarischer Grenze in der bis zu 20 verschiedenen Ethnien mit- und nebeneinander lebten und leben, vermitteln.

"Ich stopfte meine Taschen voll mit Orangenseidenpapier, und sobald ich auf einen Maulwurfbrillanten stieß, wickelte ich ihn blitzschnell ein und steckte ihn in den Busen," gesteht die alte Frau, die im Frühling immer zum Spargelstechen nach Deutschland gefahren ist. "Ich glaube, ich wäre verrückt geworden, wenn ich nicht begonnen hätte, den Maulwurfbrillanten zu sammeln. Auch ich hätte die Werkzeuge weggeworfen [...] und wäre heulend, über die Haufen hüpfend gegen die diesigen, dunklen deutschen Berge gerannt, hüpfend, wie die von Wolfshunden gejagten Rehe."

Tolnais faszinierende Gestaltungskraft, dieses "Netz, gesponnen aus den einfachsten, derbsten Tatsachen der empirischen Welt und aus den Fäden der geistigen Existenz" (Lajos Parti Nagy) gab uns die Gewissheit, dass diese Figuren aus seinem ersten ins Deutsche übersetzen Buch "Ich kritzelte das Akazienwäldchen in mein Heft" (edition per procura, Wien/Lana, 2. Auflage 2005) auf die Bühne gehören. Nach einer ersten Aufführungsserie im kurzzeitig als Veranstaltungsort nutzbaren legendären Cabaret RENZ 2006 (mehr dazu im caprile-ARCHIV) beschlossen wir 2010 eine Überarbeitung der Inszenierung. Nach längerem Suchen haben wir den passenden Raum gefunden und die Bar zu den "sechs Eutern" aus Kanizsa (Kanjia) nach Wien in die 'ARENA BAR' verlegt. Hier erzählt die schrullige Kartonagensammlerin von der vielseitigen Verwertbarkeit von Aspirinschachteln und der mit seiner Potenz hadernde Hirte, der eine russische Gewehrkugel vom letzten Krieg im Leib trägt, zum Beispiel vom "Mösenmoos". Aber auch an den meisten anderen Spielstätten kam es rasch zu einem befruchtenden Dialog zwischen Stück und Ambiente.

"Wer von Literatur mehr erwartet als das Aufrufen der neuesten Kommunikationstechnologien, wird in Tolnais ästhetisch zwingender Verschränkung von wuchernder Erinnerung und elaborierter Beschreibungskunst freilich unschwer einen europäischen Autor von Rang erkennen. Hier werden mit Sprache überwältigende Bildwelten erschaffen, die - bildlich gesprochen - irgendwie zwischen der hochartifiziellen Archaik der Filme von Andrej Tarkovskij und der grausam menschenfernen Schönheit jener von Terrence Malick liegen." Klaus Nüchtern, Falter 17/2002

"Es sind Sagen vom Ende der Welt, geschlossen wie der Mythos. [...] Es ist nicht auszuhalten. Es ist sehr gut." Richard Reichensperger, Der Standard, 20.4.2002

"Tolnai intoniert keine Klage, sondern legt das Alltäglich-Ungeheuerliche seinen Figuren in den Mund ... Ungemein suggestiv entwirft Ottó Tolnai eine Welt, deren elementare Archaik ans Gewalttätige grenzt, ohne einen Rest von Poesie zu verleugnen." Ilma Rakusa, Neue Zürcher Zeitung, 18.7.2002

 

BISHER GESPIELTBAT Orangenseide2HBG

22., 23., 26., 29. + 30.04.10 - Cafe ARENA Bar, 1050, Margaretenstraße 117 - Video
05.05.10 - Österreichische Schule Budapest

PÉCS - KULTURHAUPTSTADT 2010
            06.05.10 Trafik Lokál, 7621 Pécs (Ungarn), Perczel Str. 22

23.07.10 - Galerie S' Presshaus, 2171 Herrnbaumgarten

FESTIVAL Ungarische Stücke in Fremdsprachen
            07.10.10 - Deutsche Bühne Ungarn, 7100 Szekszárd

24.11.10 - Evangelische Heilandskirche Dornbirn
25.11.10 - Kulturbahnhof Andelsbuch (Vorarlberg)

Fotos: Maria Steinberger (oben), Mark Német (Mitte) und Ernst Mateovics (unten)

Wunsch, Mühsal, Plage - DREILÄNDERECK, Woche 30/2010 NÖN

Beklemmend / Das »teatro caprile” brachte das Theaterstück Balkan-Batschka auf die Bühne des Kulturheurigen Umschaid.

HERRNBAUMGARTEN / Otto Tolnai 1940 in Kanjiza in der Vojvodina (heute Serbien) als Angehöriger der ungarischsprachigen Volksgruppe geboren schreibt unter anderem Lyrik, Prosa und Dramen. Mit dem Stück Batschka Balkan ist ihm ein eindrucksvolles Werk, das ob seiner Authentizität kaum übertroffen werden kann, gelungen. Das “teatro caprile” war damit am Freitag im Stadl des Kulturheurigen “s'Presshaus” von Friedl Umschaid zu Gast.

In dem Stück geht es um Lebensgeschichten von Menschen aus der Batschka, die einerseits ihre Leben daheim leben oder andererseits als Gastarbeiter im fernen Deutschland ihr Lebensglück suchen. Erzählt werden diese Storys - als persönlich Erlebtes - abwechselnd von zwei Personen, passend untermalt von der Geige von András Fekete.
Katharina Grabher ist dabei die Reinigungskraft in Deutschland, Andreas Kosek der Daheimgebliebene in der Batschka. Der Autor hat für sein Stück Geschichten verwendet, die ihm so erzählt wurden und die von den Erzählern subjektiv bestimmt so gefühlt wurden, denn Gefühl kommt in fast bedrückender Art und Weise zum Publikum hinüber.
Auch die Mentalität des Balkans der 60er, 70er und beginnenden 80er-Jahre, der sogenannten einfachen Leute ist derart gut getroffen, dass es fast unheimlich ist. Da stimmt die Sprache und Wortwahl perfekt, da spielt stets der Sex eine wesentliche und für unsere Ohren vulgär klingende Rolle, da sind die und Wünsche ans Leben bescheiden, Mühsal und Plage werden als naturgegeben hingenommen, Klagen gibt es keine und ein wenig schlägt immer ein selbstkritischer und melancholischer Humor durch..

Die Schauspieler Katharina Grabher und Andreas Kosek sind dabei eine Idealbesetzung, die besser nicht sein könnte. Auch die Inszenierung und Bearbeitung (Andreas Kosek) ist perfekt. - Schade, dass solche Kultur-Highlights keine Wiederholung finden, denn dieses Stück hätte viel mehr Weinviertler Publikum verdient, als das mit einer Vorstellung beim “Friedl” in Herrnbaumgarten möglich ist.

Batschka Balkan, ein Stück, derb, ein fühlsam und poetisch nach dem Buch “Ich kritzelte das Akazienwäldchen in mein Heft” (Otto Tolnai), das tief und nachhaltig beeindruckt.

GERHARD BREY

Ottó Tolnai

wurde 1940 in Kanjiza in der Vojvodina (Serbien) als Angehöriger der ungarischsprachigen Volksgruppe geboren und lebt nunmehr in Palics nahe der ungarischen Grenze. Tolnai ist Lyriker, Prosaist, Dramatiker, Kunstkritiker, Essayist, Chefredakteur der Veszprémer Zeitschrift Ex Symposion und Übersetzer und aufgrund der Komplexität und Einzigartigkeit seines Werkes einer der wichtigsten Autoren in der zeitgenössischen ungarischen Literatur. Er veröffentlichte über dreißig Bücher in Ungarn und Jugoslawien und erhielt dafür wichtige Auszeichnungen (u.a. Brücken-Preis 1967, 1980; Attila-József-Preis 1991; Endre-Ady Preis 1993, Ungarischer Literaturpreis 2005). Zudem entdeckte und publizierte er Péter Esterházy, als in Ungarn noch eine scharfe Zensur herrschte, in Jugoslawien aber noch nicht. 2004/5 war Tolnai Stipendiat des Künstlerprogramms des DAAD in Berlin.
Seine Stücke wurden in Jugoslawien und Ungarn aufgeführt, die Gedichtesammlung "Vidéki Orfeusz" (Orpheus auf dem Lande) 1992 von Josef Nadj's Bewegungstheaterensemble "Centre Choréographique National d'Orleans" interpretiert.

"Ich bin auch sehr interessiert am städtischen, großstädtischen Leben. Das ist für mich nur deshalb so wichtig gewesen, dieses Segment, weil es in der ungarischen Literatur eine sehr starke bodenständige Richtung gibt. Und ein Autor, der sich jemals mit Bauern beschäftigt, wird sofort in diese Ecke gedrängt. Es war also für mich deshalb schon wichtig, hier tätig zu werden, weil ich diesem Klischee entgegentreten wollte. Ich habe mich gleichsam in meiner Eigenschaft als avantgardistischer Dichter mit dem bäuerlichen Leben, mit dem Boden beschäftigt, und bin dadurch quasi unqualifizierbar geworden." (In einem Interview mit der Zeitschrift VOLLTEXT, 17.09.02)

András Fekete, Violinstudium an der Staatlichen Musikschule Budapest und der Wiener Musikakademie, regelmäßig Auftritte als Geiger bzw. Primas mit "Zigeuner-” und "Tanzhausmusik”.

György Buda wurde 1993 und 1997 mit dem Preis für literarisches Übersetzen der Stadt Wien ausgezeichnet.

Wir danken:
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